Eine Sprache für die Kanalvielfalt
Die Entwicklung von neuen Services ist komplexer geworden. Dienstleistungsprozesse und Kundenreisen erstrecken sich über unterschiedliche Kanäle. Unterschieden werden können dabei persönliche Kanäle, medial-persönliche Kanäle, digital-surrogative Kanäle und rein digitale Kanäle:
- Persönliche Kanäle sind klassische Kontaktwege, an denen Kunden und Mitarbeitende eines Unternehmens persönlich (Face-to-Face) zusammenkommen.
- Medial-persönliche Kanäle umfassen synchrone Kommunikationsmöglichkeiten – beispielsweise das Telefon, der (menschliche) Chat auf einer Webseite und die Videoberatung – ebenso wie asynchrone Kommunikationsmöglichkeiten – beispielsweise Brief oder E-Mail bzw. Messenger Dienste.
- Digital-surrogative Kanäle umfassen Kontakte, die medial-persönlichen Charakter besitzen, jedoch keine Mensch-Mensch-Interaktion beinhalten, sondern eine Mensch-Maschine-Interaktion. Hierunter fallen beispielsweise Interaktionen mit Chatbots oder Sprachinteraktionssystemen.
- Digitale Kanäle beinhalten die Webseite oder andere digitale Medien, die keine persönlichen Interaktionen imitieren.
Die Erlebnisprozesse von Kunden sind vielfältig und unterschiedlich. In einer Omnikanalwelt tritt neben die typische Variabilität der Dienstleistung eine Variabilität der Kanäle und damit eine zusätzliche Dimension. Die digitale Transformation im Kundenmanagement macht es erforderlich, diese Variabilität geschickt zu bespielen.
Gestaltung von Kanalübergängen entlang von Kundenreisen
Das Design des Kundenerlebnisses muss nicht nur in den einzelnen Kanälen hervorragend sein, sondern auch an den Übergängen. Für Anbieter liegt enormes Gefahrenpotential darin, dass sich ein Gesamtbild der Kundenreise „nur“ in den Köpfen der Kunden findet. Das Gesamtbild von möglichen Kundenreisen muss auch im Unternehmen selbst nachvollzogen werden. Konkret bedeutet dies beispielsweise, dass in einer Filiale auch auf die Such- und Kaufhistorie des Kunden zurückgegriffen werden kann, so dass Mitarbeitende vor Ort direkt darauf aufbauen können. Das gleiche gilt für eine telefonische Beratung, bei der Mitarbeitende direkt in die Online-Session von Kunden einsteigen können. Kanalübergänge konsistent zu gestalten bedeutet aber auch, Kunden bewusst und bedarfsgerecht von einem Kanal in den anderen Kanal überzuleiten. Es gilt die folgenden Fragen zu stellen:
Welche Übergänge zwischen einzelnen Etappen sind wahrscheinlich?
Was muss an diesen Übergängen passieren, damit Kunden diese als reibungslos wahrnehmen?
Wo liegen Gefahren für Irritationen bzw. wo liegen Unzufriedenheitstreiber an den Übergängen?
Konsistente Gesamterlebnisse über alle Etappen hinweg
Selbstverständlich muss das Kundenerlebnis im Gesamtprozess stimmig und konsistent sein. Dies bedeutet, dass das Teilerleben von Kunden in den unterschiedlichen Etappen Kanälen ein passendes Gesamtbild abgeben muss. Nicht erlebt werden darf, dass „der linke Kanal“ nicht weiß, was „der rechte Kanal“ tut. In der Praxis sind die Fragestellungen zur Analyse hierbei recht pragmatisch:
Haben wir in allen Kanälen eine einheitliche Ansprache oder „Dutzen“/“Siezen“ wir in einem nicht nachvollziehbaren Mix?
Haben wir über alle Kanäle hinweg eine Konsistenz in unserer Angebots- und Preisdarstellung?
Kanalisieren wir über alle Kanäle hinweg Anfragen und Anliegen sinnvoll?
Fitness der Kunden für ihren Beitrag im Dienstleistungsprozess im Blick
Nicht nur die Anforderungen an Anbieter steigen. Die Kanalvariabilität ist auch gelegentlich für Kunden eine Herausforderung. Ihre Beteiligungsqualität in den Leistungserstellungsprozess bei Dienstleistungen hängt von ihren Fähigkeiten ab, das Leistungsangebot des Unternehmens an den unterschiedlichen Kontaktpunkten auch zu nutzen. Es bringt für einen Anbieter wenig, neue Interaktionsmöglichkeiten und Tools anzubieten, die Kunden dann schlicht nicht kennen oder nutzen können. Insofern ist es erfolgskritisch, zumindest die Frage zu stellen, welches „Training“ Kunden hier benötigen. Es gilt pro Etappe die folgenden Fragen zu stellen:
Welche Kunden kennen heute welche unserer Angebote in welchen Kanälen?
Welche Fähigkeiten benötigen unsere Kunden, um bestmöglich mit unserem Leistungsangebot umzugehen?
Wie gut sind diese Fähigkeiten in unseren unterschiedlichen Zielgruppen ausgeprägt?
Welche Fähigkeiten sollen wie aufgebaut werden?
Customer Experience Assurance der gesamten Kundenreise
Wenn Service Design die Wirksamkeit im Fokus hat, dann darf nicht nur die Entwicklung und Umsetzung von Ideen zur Gestaltung von neuen Dienstleistungen oder der Weiterentwicklung von bestehenden Services im Fokus stehen. Es braucht auch ein Bild zum „Betrieb der Services“ und damit bedarf es auch einer Customer Experience Assurance bzw. eines permanenten Qualitätsmonitorings der Kundenreisen aus Kundensicht und aus interner. Dies gilt insbesondere in einer zunehmend digitalen Omnikanalwelt mit einer Vielfalt von miteinander verbundenen Kanälen. Ein Qualitätsmonitoring aus Kundensicht erhebt das Erleben (bspw. Kundenzufriedenheit an einzelnen Kontaktpunkten) und das Verhalten (bspw. Abbrüche beim Onlinekauf, Auflegen bei zu langen Wartezeiten am Telefon). Ein Qualitätsmonitoring aus interner Sicht kann Bearbeitungsmengen, interne Fehler, Bearbeitungs- und Durchlaufzeiten umfassen. Selbstverständlich sind entsprechende Monitoringverfahren für einzelne Kanäle in vielen Organisationen bestens etabliert – aber häufig eben nicht für alle Kontaktpunkte und die kundenseitige Bewertung des gesamten Omnikanalerlebnisses bleibt anbieterseitig verborgen. Während für telefonische und persönliche Kontaktpunkte ein entsprechendes Qualitätsmonitoring bereits häufig umgesetzt ist, zeigt sich in der Praxis, dass an neuen Kanälen die Umsetzung auch hinterherhinken kann (bspw. bei Chat-Angeboten, Interaktionsmöglichkeiten in Apps oder bei der Videoberatung).
Die Arbeit mit einer entwickelten Kundenreise kann hier weiter unterstützen. Pro Etappe können die folgenden Fragen gestellt werden:
Was sind die kritischen Qualitätskriterien in dieser Etappe aus Kundensicht und interner Sicht?
Wo möchten wir da heute/morgen/übermorgen jeweils stehen?
Wo messen wir heute schon, wo nicht?
Wie zufrieden sind wir mit unserer Messqualität? Was soll so bleiben? Wo wollen wir etwas ändern?
Mitarbeitende für das gesamte Serviceangebot fit machen
Service Design passiert nicht im stillen Kämmerlein. Die Zusammenarbeit von im besten Fall interdisziplinär zusammengewürfelten Menschen ist ein Erfolgsfaktor. Innerhalb des Design-Teams entsteht alleine schon durch die gemeinsame Entwicklungsarbeit ein geteiltes Verständnis zu den Entwicklungsergebnissen. Für die Umsetzung ist die Einbindung der „anderen Nichtbeteiligten“ aus mehreren Gründen von zentraler Bedeutung:
- Angedachte Ideen zur Umsetzung benötigen das Verständnis zum „Warum wir dies tun?“. Dieses Verständnis entsteht selten durch Verkündung, sondern benötigt Dialog.
- Möglicherweise sind im Arbeitsteam blinde Flecken entstanden und bisher nicht eingebundene Gruppen der Organisation haben weitere Ideen oder Ergänzungen.
- Mitarbeitende an den Kontaktpunkten benötigen den breiten Blick auf die gesamte Kundenreise, um Rückfragen von Kunden einordnen zu können bzw. auch ihre persönliche Serviceleistung nahtlos und stimmig in den Erlebnisprozess von Kunden einzubetten.
Für die Einbindung bestehen unterschiedliche Möglichkeiten:
Schon während der Entwicklungsarbeit eines Arbeitsteams kann eine Validierungsgruppe die Ergebnisse „rütteln“ und „schütteln“.
Das Arbeitsergebnis zur Kundenreise wird intern vorgestellt. Dazu bieten sich bspw. Roadshows durch betroffene Abteilungen an, in denen weiter Feedback eingeholt wird.
Erarbeitete Ideen werden auf einem (digitalen) Marktplatz der Ideen angeboten und können mit Blick auf ihren Mehrwert und Umsetzung bewertet werden.
Entwickelte Kundenreisen werden aktiv in der Aus- und Weiterbildung genutzt, um Kundenverständnis und Kundenorientierung zu stärken.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass gerade für die interne Kommunikation und Sensibilisierung O-Töne von Kunden zu einzelnen Etappen besonders wertvoll sein können.
Multiexperience: Kundenreise und Mitarbeiterreise betrachten
Die Service-Profit-Chain macht den Zusammenhang zwischen Mitarbeiterzufriedenheit und Kundenzufriedenheit deutlich (Heskett, Jones, Loveman, Sasser und Schlesinger 1994; Heskett, Sasser und Schlesinger 1997). Und auch der gesunde Menschenverstand sowie ein Blick in die Praxis verdeutlichen sofort: Die erlebte Serviceleistung hängt von der Mitarbeiterleistung ab. Vor diesem Hintergrund ist es schon fast verwunderlich, dass kaum die Frage nach der zur Kundenreise korrespondierenden Mitarbeiterreise gestellt wird. Stellenweise scheint der Gedanke der Service-Profit-Chain vergessen ob der Freude über den vielleicht gerade neu entdeckten Kundenfokus. Im Service Design sind Kunden- und Mitarbeiterreise kein Entweder-Oder. Beide Perspektiven werden benötigt.
Die folgenden Fragen können zur Entwicklung der korrespondierenden Mitarbeiterreise gestellt werden:
In welchen Etappen kommt es zu einer Interaktion zwischen Kunden und Mitarbeitenden?
Wie sieht heute das Können/Kennen, Wollen, Sollen und Dürfen bei Mitarbeitenden aus?
Was passiert da optimalerweise in einer idealen Welt?
Ausgehend von heute: Was braucht es für Mitarbeitenden mehr?
Was soll weniger sein?
Was soll neu/zusätzlich sein?